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Geschichte der Maria Barbara Gutbrod, geb. 23.3.1870 in Kusterdingen

Goldene Hochzet von Maria Barbara Gutbrod

Von Betty Dunn

Das ist die Geschichte von Maria Barbara Learned, geborene Gutbrod. Es ist eine wahre Geschichte. Ich bin ihre Enkelin und erzähle ihre Geschichte aus den Erinnerungen, die sie ihrer Tochter (meiner Tante), Angeline Friederika, mitgeteilt hat und aus Informationen, die ich von einem Mikrofilm der Kirchenbücher gesammelt habe, die zurückgehen bis ins Jahr 1556.

Wir sind jetzt im Jahre 1994, aber wir müssen 124 Jahre zurückgehen, in ein kleines Dorf in Deutschland, im südlichen Staat Württemberg. Im Frühling 1870 wurde in Kusterdingen – in kurzer Entfernung östlich von Tübingen gelegen – Johann Martin Gutbrod und seiner Frau Friederika Friesch am 22.3. ein Mädchen geboren.

Zwei Tage später wurde das Baby auf den Namen Maria Barbara in der Kirche getauft, in der ihr Vater Kirchendiener war. Sie war das vierte Kind, das dem Ehepaar seit ihrer Hochzeit vor sechs Jahren, im November 1864, geboren wurde.

Der Mikrofilm enthüllt eine Tragödie, die sich in den nächsten 3 Wochen im Hause Gutbrod abspielte. Vier Tage nach Maria Barbara’s Geburt, starb der 16 Monate alte Sohn, der nach seinem Vater benannt war, an Diphtherie. Weitere vier Tage später, starb Agnes, die jüngste Gutbrod Tochter, die gerade 3 Jahre alt geworden war an Diphtherie. Am 8. April starb ihre älteste Tochter, Friederika, die fünf Jahre war, an Diphtherie. Das Baby, Maria Barbara, weniger als einen Monat alt, lebt.

Jahre später berichtete, Maria Barbara, die selbst drei jungendliche Söhne verlieren sollte, wie sie in ihrer Kindheit beobachtete, wie die Mutter oft den Hügel hinauf ging zum Friedhof, um alleine am Grab ihrer drei Kinder zu sitzen. “Man kann den Verlust eines Kindes nicht ergründen” sagte meiner Großmutter meiner Tante.

Über die nächsten 10 Jahre wurden Johann Martin und Friederika, drei weitere lebende Kinder und eines, das kurz nach der Geburt starb, geboren. Ein Sohn, nach dem Vater benannt, wurde am 12.11.1872 geboren. Eine Tochter, benannt nach ihrer Mutter, wurde am 19.4.1874 geboren. Marie Agnes wurde am 18.10.1880 geboren.

In den Erinnerungen an ihre Kindheit spielt sie mit ihrem Bruder, macht mit ihm Besorgungen und weiß, dass die Familie arm, sehr, sehr arm war. Oft aßen sie nur Brot und Milch zum Abendessen. Es gab keinen Ofen zum Brot backen. Dies war offensichtlich bei vielen der Fall. Maria Barbara und ihr Bruder Johann Martin trugen den gegangenen Teig zum Marktplatz in die Bäckerei. Dort wurde ein Holz mit dem Familienzeichen auf dem Boden des Leibes eingedrückt, um es später zu identifizieren und in den großen Ofen eingeschossen, mit dem Brot von anderen Familien. Reisen von einem Ort zum anderen wurden nicht in Kilometern gemessen, sondern nach der Zeit, die man gebraucht hat, um dort zu Fuß hinzukommen. Man kann deshalb annehmen, dass die Familie kein Pferd oder eine Kutsche hatte, um zu reisen.

Eine andere Hausarbeitsaufgabe der Geschwister war, am Abend auf die Gänsewiesen hinaus zu gehen und die Daunenfedern zwischen dem Gänsekot herauszusuchen. Jene, die das Glück hatten, eigene Gänse zu haben, ließen die Gänse auf dem Hügel grasen und brachten sie jeden Abend wieder nach Hause. Diese wertvollen Federn wurden in Kissen und Matratzen eingearbeitet.

Die Ortschaft Kusterdingen ist nicht weit von der südlichen Grenze Deutschlands und der Schweiz entfernt. Später, in ihrem Heimweh, erinnert sie sich oft an den Blick auf die schneebedeckte Alb[1]. Ihr Heimweh drückte sich auch in ihren Träumen aus. Sie träumte regelmäßig, dass sie sich der Tür ihres Elternhauses nähert. Als sie die Tür erreicht und den Knopf drehen will, um die Tür zu öffnen, erwachte sie jedes Mal aus ihrem Traum.

Maria Barbara, war als 13-jähriges Kind sehr wahrscheinlich zu jung, um darüber nachzudenken oder davon zu träumen, nach Amerika zu gehen. Als die Kirchenglocken das neue Jahr 1884 einläuteten und ihr 14. Geburtstag im März näher kam, begann sich die Welt für dieses blonde, blauäugige Mädchen zu verändern.

Ein Freund der Familie – ein Johann Georg Goetz – war einige Jahre früher nach Amerika ausgewandert und war zu Besuch in seinem Heimatland. Seine Tochter, Magdalena, war mit dem Bruder von Maria Barbara’s Vater, Johann Georg Gutbrod, verheiratet, der ebenfalls nach Amerika ausgewandert war und seinen Namen amerikanisierte in Goodbrod. Magdalena und ihr Mann Georg wohnten in Utica, Nebraska, und hatten einige kleine Kinder und ein weiteres war unterwegs.

Maria Barbara’s Eltern wurden von Goetz gefragt: “Warum gebt ihr dem jungen Mädchen nicht die Gelegenheit, mit mir nach Amerika zu gehen und meiner Tochter im Haushalt mit den Kindern zu helfen?” Er hat möglicherweise auch zugesagt, die Überfahrt zu bezahlen.

Was für eine Entscheidung muss das gewesen sein. War es eine Gelegenheit, die sie in Betracht gezogen haben, oder vielleicht die Schwierigkeiten, alle Kinder zu versorgen? Hatte Maria Barbara auch ein Wörtchen mitzureden, ob sie nach Amerika wollte oder nicht?

Die Entscheidung, Maria Barbara gehen zu lassen, wurde getroffen. Sie sollte im April in der Kirche konfirmiert werden, aber es war Januar, eventuell Ende Januar. Aus den Kirchenbüchern ist es offensichtlich, dass es eilig war, dass sie mit Goetz abreisen konnte. In den Akten ist ein halbseitiger Eintrag über die eigens für Maria Barbara gehaltene Konfirmation in der Kusterdinger Kirche enthalten.

Die Akten belegen, dass die Konfirmation am 4. Februar 1884 abgehalten wurde, damit sie mit Goetz am 8. Februar nach Amerika abreisen konnte. Die Reise ging über Bremen, das sie am 11. Februar in Richtung Utica, Seward County, im Staate Nebraska (in der Nähe von Lincoln City), verließ, um bei Johann Georg Gutbrodt zu leben.

Eine Suche in den Passagierlisten des Hafens von New York weist aus, dass Maria Barbara am 3.3.1884 mit dem Schiff “Rhein“ in New York ankommt. Ein Georg Götz, ausgewiesen als Bauer, ist direkt über ihrem Namen eingetragen, den er als Barbara Goodbrod amerikanisierte.

Großmutter erzählte meiner Tante oft über ihre Reise, insbesondere als das Schiff in der Nacht während sie schliefen, einen Eisberg rammte. 657 Personen, inklusive der Besatzung. waren nach der Schiffsliste des Kapitäns an Bord des Schiffes. Maria Barbara war in einem Raum im Zwischendeck mit einer Gruppe anderer Frauen untergebracht. Sie wurden alle aus den Kojen geschleudert. Glocken läuteten. Alle wurden an Deck beordert und ein Crewmitglied schnappte sich das junge Mädchen und band ihr eine Schwimmweste um. Weinend, alleine, verängstigt, wurde sie hin und her geschubst, bis – wie durch eine Wunder – Goetz sie an Deck fand. Glücklicherweise war das Schiff nicht schwer beschädigt.

Goetz und meine Großmutter reisten wahrscheinlich mit dem Zug in die Stadt Milford in der Nähe von Lincoln, wo Goetz eine Farm hatte. Kein Wort Englisch sprechend; erinnert sich meine Großmutter was passierte. Es war vorgesehen, dass sie am nächsten Tag nach Utica, nicht weit entfernt, weiterreisen würden, als an diesem Abend ein Reiter über das Grasland geritten kam. Er hatte ein Telegramm für Goetz. Seine Tochter, Magdalena, für die Maria Barbara all den langen Weg gebracht worden war, um ihr mit ihren Kindern zu helfen, war während der Geburt des Kindes gestorben.

Magdalena’s Ehemann, der, wie bereits früher erwähnt, der Bruder vom Vater meiner Großmutter war, hatte die früher geborenen Kinder auf andere Familien verteilt. Er hatte keinen Bedarf mehr für Maria Barbara. Was tun mir ihr?

Maria Barbara’s Vater hatte auch eine Schwester[2], die von Deutschland ausgewandert war und in Marysville, Kansas, lebte. Es wurde entschieden, das Mädchen allein per Zug zu ihrer Tante zu schicken, bei der sie leben sollte. Goetz brachte meine Großmutter zum Zug in Milford, mit einer Übernachtung in Beatrice, um dann in einen anderen Zug nach Marysville zu steigen. Sie wurde mit einem übergroßen Hut ausgestattet, der der toten Magdalena gehört hatte, an dem die Tante das Mädchen erkennen sollte. Weder Englisch sprechend, noch verstehend, wurde sie mit einem Brief an einen Gastwirt in Beatrice in den Zug gesetzt. Goetz, der das Mädchen in den Zug setzte, sprach lange mit dem Schaffner und gab ihm seine Instruktionen.

Der Zug stampfte aus dem Bahnhof. An jeder Haltestelle sprang Maria Barbara auf, ihre Stofftasche in der einen Hand und in der anderen Hand winkte sie mit dem fest umklammerten Brief. Gleichzeitig versuchte sie zu verhindern, dass der übergroße Hut von ihrem kleinen Kopf rutschte. Der Schaffner schüttelte jedes Mal seinen Kopf: “Nein“, bis sie Beatrice erreichten. Hier half ihr der Schaffner aus dem Zug. Sie stand verlassen auf dem Bahnsteig, bis der Bahnhofsvorsteher sie alleine auf dem Bahnsteig stehen sah. Als er bemerkte, dass das Mädchen nur Deutsch sprach, ging er über die Straße zu der Gaststätte und brachte jemanden mit, der ihre Sprache sprach. Der Besitzer nahm das Mädchen an die Hand. Sie bekam ein Abendessen und wurde zu Bett gebracht. Am nächsten Morgen wurden sie früh geweckt, bekam ein Frühstück und wurde zum Bahnhof gebracht für die Reise nach Marysville.

Wieder wurde der Schaffner informiert. Aber an jedem Halt sprang Maria Barbara verängstigt auf und winkte mit dem Umschlag in der Hand, um jedes Mal ein Kopfschütteln zu ernten, bis der Zug in Marysville einfuhr. Der Schaffner begleitete sie aus dem Zug, wo sie in einer Menge kommender und gehender Reisender auf dem Bahnsteig stand. Als der Zug den Bahnhof verließ, um seine Reise fortzusetzen, stand Maria Barbara verlassen von der Menge alleine da. Sie sah etwas seltsam aus, mit ihrem übergroßen Hut, ihrer Stofftasche und immer noch den Brief umklammernd, der ihr Passierschein gewesen war. Niemand in der Menge erkannte den Hut. Sie begann zu weinen und dachte sie wäre verloren.

Letztendlich rief eine Frau, die hinter ihr in einem Pferdebuggy saß: “Bist Du Barbara?” (das Maria wurde weggelassen). Man kann sich die Erleichterung der kleinen Barbara vorstellen. Ich bin mir nicht sicher über den Vornamen dieser Frau, aber ihr Ehename war Grauer, ein Name der in den Kirchenbüchern bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht.

Ich weiß nicht, wie lange Barbara, wie sie jetzt genannt wurde, in Marysville bei ihrer Tante gelebt hat, aber es war kein sehr angenehmer Aufenthalt. Als die Zeit verging, wurde Barbara nach Illinois geschickt, um bei einer anderen Tante zu leben, obwohl ich glaube, es war eher eine Cousine, mit dem Namen Regina Gutbrodt Ruppert (Rupert). Sie liebte diese Frau, aber sie durfte nur eine kurze Zeit bei ihr verbringen, ehe sie nach Marysville zurückkehren musste.

Schließlich ging Barbara nach Utica, Nebraska, wo sich Johann Georg Goodbrod in Utica wieder verheiratet und seine Kinder wieder eingesammelt hatte. Barbara wurde in seinem Haus aufgenommen, um wie ursprünglich geplant, im Haushalt zu helfen. (Er heiratete Barbara’s Cousine, Magdalena[3], die Tochter von der Schwester ihrer Mutter, die nach Amerika geschickt wurde, in der Hoffnung Barbara von ihrem Heimweh zu befreien.)

Fünf Jahre nach der Ankunft meiner Großmutter in den USA heiratete sie meinen Großvater, Lucian George Learned, am 2. Mai 1889 in Utica. Mein Großvater hatte puritanische Vorfahren auf beiden, seines Vater’s- und seiner Mutter-Seite. Die Familien kamen um 1630 in Massachusetts im Rahmen verschiedener Reisen der Win­throp-Flotte an. Die Linie seiner Mutter geht zurück bis ins 11. Jahrhundert auf den Namen Boynton, von Schloss Boynton in Yorkshire.

Lucian und Barbara’s erste zwei Kinder, Martin und Walter, starben beide als Kleinkinder und wurden ein paar Häuserblocks entfernt, im Friedhof von Utica beerdigt. Oscar wurde 1894 geboren und lebte bis September 1925, als er bei einem Arbeitsunfall in den Havlock Railroad Shops in Lincoln ums Leben kam. Ein Sohn, Willie, wurde geboren und starb durch eine Kopfverletzung im Alter von zwei Jahren. Warren wurde 1900 geboren; meine Mutter, Mabel, 1902; meine Tante, Angeline Friederika, in 1907 und ein Onkel Russell in 1910.

So kam es, dass Barbara auch die Agonie erleben musste, die der Tod eines Kindes bedeutete. Auch sie hatte nur einen kurzen Weg, um an den Gräbern ihrer toten Söhne zu sitzen. Meine Großeltern sind jetzt beide neben ihnen begraben.

Dank dieses Mikrofilms der vier Jahrhunderte der Kusterdinger Kirchenbücher enthält, war ich in der Lage, die Vorfahren meiner Großmutter auf der mütterlichen Seite bis zum Anfang der Kirchenbücher zurückzuverfolgen. Der Name Friesch erscheint zum ersten Mal 1561, die Aufzeichnungen beginnen 1554. Ich war in der Lage, die mütterliche Linie meiner Großmutter bis zu ihrem Ur-Ur-Großvater, Johan Jacob Friesch, geb. in Kusterdingen um 1725, nachzuvollziehen, dessen Sohn, Johan Jacob Friesch, am 25. Januar 1757 und dessen Sohn, Johann Georg Friesch, am 26. September 1800, geboren wurde; er war der Vater von Barbara’s Mutter.

Der Name Gutbrod erscheint zum ersten Mal zwei Jahrhunderte später als der Name Friesch, als Georg Gutbrod (vermutlich Johann Georg) am 26. Dezember ein Sohn, Johan Martin Gutbrodt, geboren wurde. Dieser Sohn war der Ur-Ur-Großvater meiner Großmutter und mein Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater.

Meine Großmutter hat nach dem Verlassen von Deutschland weder ihre Eltern, ihren Bruder und auch keine ihrer Schwestern mehr gesehen. Nachdem sie geheiratet hatte und die Kinder geboren waren, schrieben meine Großeltern nach Deutschland und fragten, ob Barbara’s jüngere Schwester nach Amerika kommen könnte, um im Haushalt zu helfen. Ihre Eltern sagten Nein, weil sie wussten, dass sie ihre Tochter nicht wiedersehen würden und kein weiteres Kind gehen lassen wollten.

Der Vater meiner Großmutter sandte oft Blumensamen von seinem deutschen Garten. Ich frage mich, ob die schönen Malven in Großmutters Garten in Utica von diesem Samen stammten.

Das ist Maria Barbara’s-Geschichte.

Betty Dunn

[1] Im Original geht man wohl von den Alpen aus, statt der Schwäbischen Alb
[2] Es muss sich dabe um Magdalena Gutbrod handeln, die Jacob Grauer geheiratet hatte und in Marysville, KS lebte.
[3] Es handelt sich dabei um Magdalena Böblinger, Tochter von Maria Barbara Friesch (geb.19.4.1844) und Jakob Böblinger, aus Wurmlingen.

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